Uwe Kappel (Presbyter)
Was würden Sie dazu sagen: innerhalb von nur fünf (!) Stunden[1] Ihrer beruflichen Aufgaben – also nicht einmal ein voller Arbeitstag – würden Sie einen sehr nachhaltigen Ruhm erlangen; katapultiert aus einer mehr oder weniger unbedeutenden verwaltungstechnischen Tätigkeit, nach ganz oben innerhalb der allgemeinen Bekanntheitsskala. Millionen von Menschen kennen ihren Namen und sprechen ihn immer wieder andächtig aus. Und das fast schon 2000 Jahre lang - mindestens.
PR-Manager wären begeistert – welch ein Erfolg! Unvergänglicher Ruhm, der nicht über Talkshows im Rundfunk und TV oder über facebook & Co ständig aufpoliert und lebendig gehalten werden muss. Politiker, Sportler und Medienstars würden vor Neid erblassen …
Wie schillernd dieser Ruhm war, zeigt sich dann später. Die koptische Kirche sieht in der betroffen Person einen Heiligen. Nicht so wohlwollende Legenden meinen zu wissen, dass dunkle Flussgeister des Tiber und später der Rhone den Leichnam der Person verschmähen und ihn ausspeien; erst in Lausanne fanden die sterblichen Überreste eine zweifelhafte Ruhe in einem Bergsee. Berühmt oder berüchtigt?
Wer war es?
Es ist die Rede von Pontius Pilatus dem römischen Präfekten und Richter Jesu, den alle Christen im Glaubensbekenntnis nennen.[2]
Bei den Vorbereitungen zu diesem Beitrag muss ich immer wieder an meinen Vater denken. In der Karwoche gehörte es fast schon rituell dazu, die Person des Präfekten zu beleuchten; so will ich dieser familiären Tradition folgen und einige „Schlaglichter“ auf diese Randfigur der Geschichte werfen - gewissermaßen Gedankensplitter.
Wer war dieser Römer?
Außerbiblische Quellen [3] [4] zeichnen ein unscharfes Bild, eines recht undiplomatischen, bestechlichen, gewalttätigen und auch sonst wenig freundlichen Menschen. Wobei man beachten sollte, dass diese Berichte einer bestimmten diskreditierenden Zielsetzung unterworfen waren. Die Evangelien präsentieren uns hingegen ein deutlich anders Bild. Hier tritt uns ein Mensch in seiner menschlichen Unzulänglichkeit, seiner Furcht und seiner Zerrissenheit entgegen. Beide Bilder, das biblische Profil und die historische Kontur gehören aber zu demselben Menschen, dem die Macht „von oben“ als Richter Jesu gegeben war (Joh 19,11). Also zwei Seiten einer „römischen“ Münze …
Betrachten wir die historische Komponente dieser Person ohne Vorurteile, so fällt auf, dass Pontius Pilatus – seinen Vornamen (praenomen) kennen wir nicht – wohl aus Samnium in Mittelitalien stammt. Ob der Ritterstand, dem er angehörte, ererbt oder auf Grund besonderer Leistung, z.B. in der Armee verliehen worden war, ist nicht belegt. Aber seine Amtsführung lässt auf einen militärischen Hintergrund vor seiner Aufgabe als Präfekt schließen. 26 bzw. 27 n.Chr. tritt er sein Amt an und bleibt ca. 10 Jahre in Judäa. Aus dieser Zeit sind zwei Begebenheiten bekannt, die sein Image nachträglich schwächten. Es geht um das Verbringen von goldenen „Weiheschilden“ zu Gunsten des Kaisers in den Herodes-Palast in Jerusalem und die Überführung von römischen Feldzeichen ebenfalls nach Jerusalem.
Bei beiden Gelegenheiten scheint sich die jüdische Bevölkerung auf Grund des Bilderverbotes nach Mose, provoziert gefühlt zu haben[5]. - Nicht eindeutig geklärt ist jedoch, ob es sich nicht um den gleichen Vorgang mit einer anderen Auslegung handelt. In beiden Fälle wurde berichtet, dass Pilatus jedoch klein beigeben musste. In einer anderen Affäre hat er, wohl um ein Aquädukt bauen zu können, auf den Tempelschatz (Korban) zurückgegriffen und dieses brutal durchgesetzt.
Diese und andere Begebenheiten dürften die Spannungen zu den Juden erklären, die ihn dann im Prozess gegen Jesus unter Druck setzten – bei seiner ursprünglich geplanten Freilassung Jesu bekommt er zu hören, dass er nicht mehr der Freund des Kaisers sei, (Joh 19,12a) wenn er nicht in ihrem Sinne agiere und so kommt es zu dem bekannten Urteil. In solchen Augenblicken verschränken sich biblische und historische Dimensionen.
Später muss sich Pilatus auf Grund seines brutalen Vorgehens gegen die Samaritaner verantworten, wird suspendiert und nach Rom geschickt um Tiberius Rede und Antwort zu stehen. Bei seiner Ankunft in Rom ist Tiberius jedoch bereits gestorben und Caligula sein Nachfolger. Hier verliert sich die Spur des Pilatus in der Geschichte und die Legendenbildung beginnt.
Aufgetaucht wie eine Sternschnuppe am Himmel der Geschichte und wieder verschwunden, nur für einen kurze Augenblick, aber dem „Schicksalsmoment der Menschheitsgeschichte“ wie G. Agamben ihn nennt.
Welch eine Situation! Dort der pragmatische heidnisch-römische Besatzer, der sich von der jüdischen Aristokratie genötigt fühlt ein Urteil zu fällen, hinter dem er nicht steht. (Lk 23,24) Auf der anderen Seite der Retter der Menschheit, Gott und zugleich Mensch in der Hand dieses überforderten Richters, der nur von seiner Furcht getrieben ist. (Joh 19,8).
Berührung des Jenseitigen und Diesseitigen
Stellt man sich dieses Bild deutlich vor die eigenen Augen, so wird die Dimension dieses Augenblicks klar. Egal was Pilatus tuen würde, es wäre in der beschränkten Sicht von uns Menschen falsch gewesen. Ein Freispruch oder auch nur eine Verbannung, beides lag theoretisch in seine Macht, hätte – nach menschlichem Ermessen - zu einer anderen heilsgeschichtlichen Situation führen können.
Und dann? Musste es nicht so sein?
Diese Sicht enthebt uns eines Urteils über Pontius Pilatus, auch, wenn meint gerade an dieser Stelle Position beziehen zu müssen:
„Richtet nicht, auf das ihr nicht gerichtet werdet.“ (Mt 7,1) denn „die Gnade und die Wahrheit“ – auch über und für Pilatus - sind uns durch Christus gegeben worden (siehe auch Joh1,16).
Wie glücklich dürfen wir uns schätzen: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ beten zu können; dabei schließen wir auch den berühmten oder berüchtigten Römer ein.
[2] Wobei der Name erst auf dem Konzil von Konstantinopel 381 in das ursprüngliche Credo von Konzil in Nicäa (325) aufgenommen wurde.
[3] Im Wesentlichen sind hier Tacitus, Philo von Alexandria und Flavius Josephus zu nennen.
[4] Siehe auch den Kasten, Stein des Pilatus
[5] wobei sich die Logik im ersten Fall nicht erschließt. Berücksichtig man bei den Feldzeichen, dass z.B. die Legion X „Fretensis“ u.a. einen Keiler – also ein im Judentum unreines Tier – als Feldzeichen führte, so wäre die empfundene Provokation im zweiten Fall erklärlich.
Wie im Beitrag erwähnt, sind die historischen Belege für Pilatus – gemessen an seiner Bedeutung der Menschheitsgeschichte - nicht gerade sehr üppig. Ein archäologischer Fund – veröffentlicht im Jahre 1961- veränderte das schlagartig. Aus einem Stein, der ausgerechnet als Treppenstufe in einem Theater (Cesarea) Wiederverwendung gefunden hatte, ist ein greifbarer Beleg für die Existenz des Pilatus geworden. [1]
Die fragmentarische Inschrift lautete:
„…S TIBERIEVM
…NTIVS PILATVS
ECTVS IVDAEAE
…E´…“
Der hier Beschriebene erscheint mit vollem Namen – wobei einige Buchstaben fehlen. Ohne an dieser Stelle ausführlich auf die Rekonstruktion durch G. Alföldy im Auftrage von A. Demandt aus dem Jahr 1999 einzugehen, ergibt sich heute mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, dass der Präfekt Pontius Pilatus den Leuchtturm (Tiberius-Turm) erneuert hat. Zwar keine Tat von weltgeschichtlicher Bedeutung, aber immerhin …
[1] Das hat nichts mit dem berühmten Eckstein zu tun, der verworfen wurde.
Neben der Bibel gibt es folgende interessante Bücher zum Thema „Pilatus“:
Agamben, Giorgio – Pilatus und Jesus, Berlin, 2014
Bedford-Strohm, Heinrich (Herausgeber) – Die Personen der Bibel; München, 2016
Benedikt XVI – Joseph Ratzinger – Jesus von Nazareth, Band II; Freiburg – Basel – Wien, 2011
Creming, Katharina und Werlitz, Jürgen – Die verbotenen Evangelien - Apokryphe Schriften; Wiesbaden, 2004
Dahlheim, Werner – Die Welt zur Zeit Jesu; München 2013
Demandt, Alexander - Hände in Unschuld – Pontius Pilatus in der Geschichte; Freiburg- Basel- Wein, 2001
Demandt, Alexander - Pontius Pilatus; München 2012
Josephus, Flavius – Der jüdische Krieg – übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Otto Güthling; Wiesbaden o. Angabe
Märtin, Ralf-Peter – Pontius Pilatus – Römer, Ritter, Richter; Frankfurt a. Main, 2012
Literarische Bearbeitung des Themas :
Schmitt, Eric-Emmanuel - Das Evangelium nach Pilatus, Roman; Frankfurt a. Main, 2007
Literatur zur Römischen Armee :
Cowan, Ross und McBride Angus – Römische Legionäre – Republik und Kaiserreich; Königswinter, 2007